Kita-Betreuungsverträge werden üblicherweise nicht im Fernabsatzsystem abgeschlossen

Kindertagesbetreuung (Kita)
04.08.2023

Den Sorgeberechtigten steht mangels eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- oder Dienstleistungssystems des Kita-Trägers kein Widerrufsrecht hinsichtlich eines Kinderbetreuungsvertrages zu, welchen sie über Fernkommunikationsmittel abgeschlossen haben.

Kinderbetreuungsverträge werden in der Regel nicht im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- oder Dienstleistungssystems geschlossen. Ein solches Vertriebssystem lässt sich nicht damit begründet, dass ein Kita-Träger innerhalb seiner Website die Möglichkeit unverbindlicher Interessentenanfragen bietet und in der Lage ist, den Interessenten ein Vertragsformular kurzfristig zu übermitteln.

Dies hatte das Amtsgericht Hamburg bereits am 25. Juni 2019 (Aktenzeichen: 22a C 377/18) entschieden, nachdem die Sorgeberechtigten sich auf den Standpunkt gestellt haben, ihnen stünde ein Widerrufsrecht bezüglich des Kita-Betreuungsvertrages zu. Das Amtsgericht Hamburg hat hierzu wie folgt ausgeführt:

(…)

Ein Anspruch der Klägerin gegenüber den Beklagten als Gesamtschuldner auf Zahlung von € 3.571,89 Euro ist zunächst gemäß den §§ 421, 611 I BGB in Verbindung mit § 1 Ziffer 5 und 6 eines Betreuungsvertrages entstanden.

1.2.1. Kein Erlö[sic]schen infolge Widerrufs gemäß § 355 I 1 BGB

Der Anspruch ist nicht gemäß § 355 I Satz 1 BGB infolge Widerrufs erloschen. Es kann dahinstehen, ob die Kündigungserklärung vom 11.5.2016 als Widerruf ausgelegt werden kann, da jedenfalls kein Widerrufsgrund gegeben ist. Ein solcher ergibt sich aus § 312g I BGB, der insoweit einzig in Betracht kommenden Vorschrift, nicht. Bei dem streitbefangenen Betreuungsvertrag handelt es sich weder um einen außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Vertrag noch um einen Fernabsatzvertrag im Sinne dieser Vorschrift.

Ein außerhalb von Geschäftsräumen geschlossener Vertrag liegt bereits deshalb nicht vor, da ein solcher gemäß § 312b I Satz 1 Ziff. 1 BGB die gleichzeitige körperliche Anwesenheit beider Vertragsparteien bei dem Vertragsschluss voraussetzt, was vorliegend unstreitig nicht der Fall war.

Auch kann der streitgegenständliche Betreuungsvertrag nicht als Fernabsatzvertrag qualifiziert werden. Gemäß § 312c I BGB sind Fernabsatzverträge solche Verträge, die unter ausschließlicher Verwendung von Fernkommunikationsmitteln zustande kommen, es sei denn, dass der Vertragsschluss nicht im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- oder Dienstleistungssystems erfolgt.

Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt. Dass der Vertrag vorliegend unstreitig ausschließlich mittels Einsatzes von Fernkommunikationsmitteln im Sinne des § 312c II BGB, namentlich per E-Mail und Telefon geschlossen wurde, wirkt sich im Ergebnis nicht aus, da er nicht auch, wie nach § 312c I BGB kumulativ erforderlich, im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- oder Dienstleistungssystems zustande gekommen ist. Zwar gehen die Beklagten zutreffend davon aus, dass an das Vorliegen eines solchen Systems aus Verbraucherschutzgründen keine allzu großen Anforderungen zu stellen sind (BGH NJW 2019, 303 Rn. 19), allerdings fehlt es hieran vorliegend auch bei großzügiger Auslegung.

Als Mindestvoraussetzung eines Fernabsatzsystems wird jedenfalls eine gewisse Regelmäßigkeit verlangt, mit welcher Fernabsatzverträge geschlossen werden (Martens, BeckOK, BGB, 50. Edition, § 312c Rn. 23). Dies ist vorliegend nicht gegeben.

Soweit die Beklagten behaupten, aufgrund des zügigen zeitlichen Ablaufs zwischen Kontaktaufnahme und Zusendung des Vertrages könne davon ausgegangen werden, dass die Klägerin regelmäßig Verträge im Fernabsatz schließe, ist diese Schlussfolgerung nicht zwingend. Es gibt keinen Erfahrungssatz, der diese Erwägung trägt.

Auch die allgemeine Lebenserfahrung steht entgegen. Jeder durchschnittlich gewissenhafter und wirtschaftlich denkende Mensch ist bereit und in der Lage, binnen weniger Tage nach einer telefonischen Vereinbarung ein vorgefertigtes Vertragsdokument zu übermitteln.

Mitnichten begründet dies bereits ein Fernabsatzsystem der Klägerin. Die von beiden Parteien in Bezug genommene Website der Klägerin bestätigt dieses Ergebnis. Nach heutiger Verkehrsüblichkeit bildet es für Unternehmen die Regel, ein Internetportal bereitzustellen, und zwar unabhängig davon, ob ein Vertrag via Fernkommunikation oder stationär geschlossen werden soll. Auch die Möglichkeit, Kita-Plätze über die Plattform unverbindlich zu reservieren, begründet nicht die Annahme, dass systemisch und regelmäßig Fernabsatzverträge abgeschlossen werden. Die Möglichkeit einer unverbindlichen Reservierung halten beispielsweise auch viele Restaurants oder Friseurgeschäfte auf ihren Internetseiten bereit, obwohl ein Vertrag erst vor Ort geschlossen wird. Schon aufgrund der ausdrücklichen Unverbindlichkeit der Buchungsoption auf der Website der Klägerin, lässt sich die Annahme eines Fernabsatzsystems auf diese nicht stützen.

Ohne dass es noch darauf ankommt, hat die Klägerin auch erheblich erwidert, dass im Regelfall die Betreuungsverträge unmittelbar nach und unter Bezugnahme auf vorausgehende persönliche Besichtigungen und Besprechungen der Vertragsmodalitäten geschlossen werden - also gerade nicht im Fernabsatz, da hier der Schwerpunkt der Vertragsverhandlungen vor Ort erfolgt (vgl. Erwägungsgrund 20 der Verbraucherrechte-RL 2011/83/EU).

(…)

Die Beurteilung des Amtsgerichts hat das Landgericht Hamburg mit seiner Entscheidung vom 16. Januar 2020 (Aktenzeichen: 315 S 44/19) innerhalb der Berufungsinstanz bestätigt. Das Landgericht Hamburg hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen und wie folgt ausgeführt:

(…)

Das Rechtsmittel der Beklagten hat nach einstimmiger Auffassung der Kammer offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg. Zu Recht und mit zutreffender Begrün-dung hat das Amtsgericht die Beklagten zur Zahlung verurteilt.

Wegen der Begründung im Einzelnen wird auf den Hinweisbeschluss der Kammer vom 10.12.2019 verwiesen. Der Schriftsatz der Beklagten vom 13.01.2020 gibt keinen Anlass zu einer abweichenden Würdigung.

(…)

Die Klägerin hat jedoch ausreichend und überzeugend dargelegt, dass sie kein für den Fernabsatz organisiertes Vertriebssystem vorhält. Außer der Tatsache, dass die Beklagten ausschließlich über Fernkommunikationsmittel mit der Klägerin kommuniziert haben, spricht nichts für ein solches Vertriebssystem bei der Klägerin. Es ist nachvollziehbar und lebensnah, dass Verträge zur Kinderbetreuung üblicherweise erst nach Besichtigung der entsprechenden Betreuungseinrichtung abgeschlossen werden und es sind keine Umstände ersichtlich oder von den Beklagten vorgetragen worden, dass dies von der Klägerin in organisierter Form regelmäßig anders gehandhabt wird.

(…)

Wir unterstützen Sie gerne bei der Durchsetzung ihrer vertraglichen Ansprüche und stehen Ihnen mit unserer vertragsrechtlichen Expertise zur Verfügung.

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